"Heute ist das „Hopfgarten“ das letzte „Kännchen-Kaffee-Café“ der Stadt. Wer seinen Espresso oder Latte braucht, sollte woanders hingehen. Wer von zwar unprofessionellen, aber jungen Studentinnen bedient werden will ebenso. Hier trifft man gestandene Frauenzimmer, die einem auch mal eine klare Ansage machen. […] Im neuen Halle-Polizeiruf wird das „Hopfgarten“ bestimmt einmal auftauchen, um zu illustrieren, „wie der Westen seinen Osten am liebsten hätte: bisschen rührend, bisschen vulgär, aber immer herzensgut und friedlich in sich reingescheitert“, wie der Krimikritiker Matthias Dell neulich schrieb."
Text: Michael Suckow
Bild: Marcus-Andreas Mohr
„Ein geradezu mächtiger innerstädtischer Freiraum tut sich an einer Stelle auf, die man dort kaum vermuten dürfte. Ihn nach allen Regeln der effizienten Raumausnutzung zu füllen und somit zum ehemaligen Freiraum zu machen, das hat man bislang nicht gewollt oder vermocht. [...] Wir saßen auf einer der zahlreichen Sitzgelegenheiten in diesem Terrain, eine Flasche Weißwein war geöffnet. Die lang gezogene runde Bank ist auf den Handwerkerbrunnen ausgerichtet. Inmitten eines industriellen Wohnblocks in einer wohlgemerkt alten Stadt verewigt er als keramisch-handgeformtes Monument die Handwerker und ihren Einfluss auf die Stadt.“
Text: Johannes Stahl
Bild: Jürgen Domes
"DA BLIEB EIN ANFLIEGEN und FRESSEN, ein Rauschen und Tappen, ja, ein Aufploppen wie von Flaschen zugleich, als wäre man hier immer willkommen. Man musste nur eben auf der Hut sein vor dem Jaguar, der hinter der Sitzgruppe den Tapiren, für die er uns hielt, auflauerte, um sich einen zu pflücken und im rechten Moment eine auf-, eine einsitzende, sich einwurzelnde, fressende Ranke zu sein – die Augen im Blühen zwei dunkle karolingische Perlen aus Hunger und Lust. Und das in dieser Stadt, die ich längst hatte verlassen wollen und sollen. Und wusste, es war doch längst nicht mehr möglich." 
Text: André Schinkel
Bild: Uwe Jacobshagen
"Schnell verliert man die Orientierung im wilhelminischen Kreisverkehr, weil die Gründerzeitplaner – circa um 1882 – auf dem Reißbrett nicht bedacht hatten, dass strahlenförmig in alle Richtungen abgehende Straßen zwar ein geometrisches Muster von hoher Eleganz ergeben, jedoch den ,Orientierungstrollos‘ unter uns Jahre ihres Lebens abverlangen, um vertraut damit zu werden, welcher der richtige Abzweig ist zum Bäcker Kolb. Wer also einen ausgemergelten Menschen mit wirrem Blick des Weges taumeln sieht, der gehe nicht achtlos an ihm vorbei, sondern zeige ihm die rettende Richtung, auf dass er sich mit Kolbs Brötchen stärke."
Text: Christian Kreis
Bild: René Schäffer
"Da hört sie einen fragen, was es heute zu Essen gibt. Matjes. Irma jubelt, doch nach außen hin genügt ihr ein beschwingtes Blätterrascheln. An jedem letzten Donnerstag des Monats pilgern die Matjesjünger ins „Waschhaus“, da wird es richtig voll. Mancher reserviert im Voraus: „Kerstin, ich komme bisschen später, hebste mir ’n großen Matjes auf?“ Das klappt, auf Kerstin ist Verlass. Er kriegt seinen Fisch. Mit Pellkartoffeln. Selbst wenn er seinen Zettel ein paar Wochen nicht bezahlt hat. [...] Einmal hatte sie belauscht, wie einer im Vorbeigehen sagte, Neonschrift sei „anachronistisch, die letzte Bastion der 1980er“, doch das ist Irma vollkommen egal. Sie findet sie einfach schön."
Text: Dorothée Leipoldt
Bild: Marcus-Andreas Mohr
"Dem Geschichtsabriss in der Speisekarte kann man entnehmen, dass der „Mohr“ bereits im Jahre 1536 seine Türchen und Tore öffnete, Brände, Kriege und diverse Besatzungen überstand, hinterher stets wieder auf- und umgebaut wurde. Der Gasthof liegt in unmittelbarer Nähe zu Johann Friedrich Reichhardts schönem englischem Garten, wie auch seinem früheren Wohnhaus, und selbst die mancherorts schlecht abgedruckten Kupferstichporträts des Komponisten lassen erahnen, dass er wohl oft und dann recht lange im „Mohren“ gesessen haben wird. […] Skepsis löst ein Blick ins Innere des Saals in mir aus, wo die Statuetten schwarzer Sklaven Lampen, Leuchter und Kerzen halten."
Text: Dorothée Leipoldt
Bild: Marcus-Andreas Mohr
"Auf dem Boden rollen, das wirkt immer. Oh nein, ihr ist eine von den Sammeltassen runtergefallen! Auch noch die schöne mit den blauen Blumen! Oh, oh, da wirkt auch kein Kunststück, da such ich besser mal das Weite. Vielleicht komm ich am Nachmittag noch mal vorbeigeschnickst. Mittags wird’s zwar richtig voll, aber da essen die meisten sowieso nur Suppe."
Text: Dorothée Leipoldt
Bild: Marcus-Andreas Mohr
"Wenn man die Fügung „Im Freien“ doppelsinnig auffassen möchte, so trifft man zwischen Halle und Giebichenstein auf einen Geist, wie er nicht nur, aber vor allem in der Goethezeit, genauer gesagt in der frühromantischen Zeit besonders auch an der damals weltweit modernsten und liberalsten Universität noch geweht hat, und zwar ganz besonders vom nordwestlichen Stadtmauerrand bis hinüber nach dem Ort und der Burg Giebichenstein."
Text: Wilhelm Bartsch
Bild: Knut Mueller
"Die „Burg“ machte sich im 20. Jahrhundert einen Namen als eine Schule, in der sich Kunst, Handwerk und Design einander inspirierend verbanden.
Überquert man, aus der Stadt kommend, die stark befahrene Seebener Straße und schwenkt in den kurzen, gepflasterten, von Bäumen überwölbten Weg zwischen der Umfassungsmauer der Burg und dem Amtsgarten ein, verschwinden wie von Zauberhand augenblicklich Gefühle städtischer Betriebsamkeit."
Text: Klaus Völker
Bild: René Schäffer
"Mit Kleingärten hatte ich erstmals im Rahmen meiner Doktorarbeit Anfang der 1990er-Jahre zu tun. Den Spaten über der Schulter, zog ich los, um Bodenproben zu nehmen und Möhren, Kartoffeln und Kohlrabi zu ziehen, zu ernten und dann im Labor auf Schwermetall-belastungen hin zu untersuchen. Manche der Laubenpieper schauten meinem Tun zunächst etwas skeptisch zu, aber bald riefen die ersten: „Hey, jetzt kommst du erst mal her und trinkst ein Bierchen mit uns!"
Text: Karamba Diaby
Bild: Nicole Müller
"Doch verborgen im Trockenrasen, denke ich, zusammengekugelt im Winter und eilig flitzend über den sonnenwarmen Porphyr im Sommer, leben die Kefersteins in ihrem Felsengarten weiter, kleiner geworden, dunkel verfärbt durch die Schwarzlaugen ihrer Fabrik, auf sechs Beinchen inzwischen, die einst unter teuren Stoffen verborgenen Leiber nun dreigeteilt in Caput, Thorax und Abdomen, die Fühlerchen witternd, unter den Flügeldecken mal mit echten, mal mit Scheinflügelchen versehen."
Text: Christine Hoba
Bild: Olaf Martens / Kunsthalle Talstraße
Band 1 der Buchreihe POESIE EINER STADT: "Im Freien. Ein prosgraphischer Begleiter durch Halle" ist unter ISBN 978-3-96311-585-1 im Buchhandel erhältlich, unter anderem in der halleschen Buchhandlung Jacobi & Müller oder direkt beim mdv Mitteldeutscher Verlag GmbH, Halle (Saale).
Triftstraße 12, 06114 Halle (Saale)
poesie-einer-stadt.de